Themendienst: Reaktivierungen im SPNV
Planungsverfahren: Weichenstellung für den Nahverkehr der Zukunft
Je stärker das Verkehrsbedürfnis wächst, desto mehr stellt sich die Frage nach umweltfreundlichen, bürgergerechten und bezahlbaren Mobilitätsangeboten. Alternative Nr. 1: die Bahn. Aber um mehr Verkehr von der Straße auf die Schiene zu verlagern, muss die Infrastruktur ausgebaut werden. In der Region Westfalen-Lippe hat sich der Nahverkehr Westfalen-Lippe (NWL) als Aufgabenträger für den Schienenpersonennahverkehr (SPNV) ehrgeizige Ziele gesetzt: Aktuell verfolgt der NWL gleich mehrere Reaktivierungs- und Ausbauprojekte – und hat weitere Planungen in der Pipeline. Beteiligt sind daran nicht nur die Fachleute für Verkehrsplanung, sondern auch Bauverantwortliche, Vertreter und Vertreterinnen aus Verwaltung und Politik und viele mehr – auch Bürgerinnen und Bürger. Denn in Deutschland durchlaufen Infrastrukturprojekte gesetzlich festgelegte Schritte. Das braucht Zeit, gewährleistet aber den demokratischen Beteiligungs- und Entscheidungsprozess sowie eine transparente und bedarfsgerechte Infrastrukturplanung.
Erst wenn von einer Machbarkeitsstudie über die Bürgerbeteiligung bis hin zum Erteilen der entsprechenden Genehmigungen alle vorgegebenen Verfahrensschritte erfolgreich abgeschlossen sind, kann der Bau beginnen. Das gilt nicht nur für langfristige und umfangreiche Projekte wie die zukünftige S-Bahn Münsterland, sondern auch für vermeintlich „überschaubare“ Reaktivierungen auf einzelnen Streckenabschnitten – zum Beispiel zwischen Harsewinkel und Verl, einem bereits weit fortgeschrittenen Projekt, oder auf der Begatalbahn zwischen Lemgo und Barntrup, einem potenziellen Vorhaben in einem frühen Stadium. Denn auch solche Projekte sind hochkomplex, zeit- und planungsintensiv. Es muss zunächst sichergestellt werden, dass das Infrastrukturprojekt im öffentlichen und wirtschaftlichen Interesse liegt. Denn für den Ausbau des Schienenpersonennahverkehrs sind Investitionen notwendig, die sich zu weiten Teilen aus öffentlichen Geldern des Bundes und Landes finanzieren.
Startschuss für mögliche Projekte durch Lokalpolitik und NWL
Verspricht eine Idee interessante Potenziale, muss sie im Bereich Westfalen-Lippe zunächst vom NWL genau geprüft werden. Als verantwortlicher Aufgabenträger für den SPNV vor Ort zieht er die spezifischen Anforderungen, Ziele und Bedürfnisse der Region in die Planung mit ein. Welche Vorhaben er untersucht, entscheidet der NWL aber nicht allein: Diese Aufgabe obliegt der Lokalpolitik vor Ort. Erst wenn der NWL den Auftrag aus den regionalen Mitgliedsverbänden dazu erhält, liegt bei ihm die Koordination des gesamten Planungs- und Umsetzungsprozesses. Indem die lokalen Akteure von Beginn an einbezogen sind, ist sichergestellt, dass jedes Planungsvorhaben auf regionaler Unterstützung fußt.
Zunächst muss der NWL einige grundlegende Fragen klären: Welche Ziele soll zum Beispiel die Reaktivierung der Begatalbahn erreichen? Daraus folgen erste Betriebskonzepte: Wo, wann und in welcher Taktung sollen wie viele Züge rollen? Und welche Ausbaumaßnahmen werden dafür voraussichtlich notwendig sein? Die Begatalbahn könnte zum Beispiel als Teil des NRW-Zielnetzes 2040 im ländlichen Raum eine attraktive und emissionsarme Alternative zum Individualverkehr schaffen. Dafür wurden ein 30- und 60-Minuten-Takt zwischen Lemgo-Lüttfeld und Barntrup Ost geprüft. Im Fall einer Reaktivierung wären unter anderem Neubau und Sanierung von Gleisen, Überführungen und Bahnübergängen notwendig. Ebenso müssen die Verkehrsstationen in der Regel neu geplant und als zukunftsfähige Mobilstation ausgestaltet werden. Weiterhin müsste die Infrastruktur zur Stromversorgung für den geplanten Einsatz von batterieelektrischen Fahrzeugen sichergestellt werden. Aus dem Vorhaben, welches als grobe Idee zum NWL kam, entsteht so der Grundstein für die weitere Planung.
Sobald dieser Grundstein gelegt ist, erstellt der NWL eine sogenannte Machbarkeitsstudie. Dabei wird geprüft, ob die zuvor entwickelten Betriebskonzepte technisch umsetzbar und volkswirtschaftlich sinnvoll sind. Können die zuvor definierten Anforderungen an die Gleisinfrastruktur, die Verkehrsstationen und die Fahrzeuge erfüllt werden? Wenn ja, zu welchem Preis? Zum anderen wird vorhergesagt, welche Wirkung das Vorhaben voraussichtlich haben wird. An erster Stelle: Was bedeuten die Betriebskonzepte für Fahrzeiten und Umsteigemöglichkeiten? Darüber hinaus gibt es etliche weitere wichtige Fragen: Wie groß wird die Nachfrage sein? Was sind die Auswirkungen auf das gesamte Verkehrssystem in der Region Lippe – Barntrup? Und verhindert eine mögliche Reaktivierung der Begatalbahn Engpässe auf der Straße, Unfälle oder CO2-Emissionen?
All diese Informationen und noch viele mehr sind erforderlich, um die notwendigen Investitionen anschließend in einem einheitlichen Verfahren zu bewerten. Hier kommt die sogenannte standardisierte Bewertung ins Spiel, die diesen Prozess für ÖPNV-Investitionen in ganz Deutschland valide und vergleichbar regelt. Dazu werden die erwarteten Auswirkungen eines Projekts, etwa schnellere Fahrzeiten und niedrigere CO2-Emissionen, mit den Kosten aufgewogen. Heraus kommt ein Nutzen-Kosten-Indikator, der zeigt: Lohnt sich das Projekt, ist das notwendige Geld gut angelegt?
Beim Beispiel Begatalbahn ist das Ergebnis an dieser Stelle eindeutig: Pro investiertem Euro zeigt die Machbarkeitsstudie einen volkswirtschaftlichen Nutzen von bis zu 2,80 Euro. Abhängig von einer gesicherten Finanzierung, ist mit diesem positiven Indikator nun eine wichtige Voraussetzung geschaffen, um das Projekt seitens des NWL weiter zu verfolgen.
Beginn des ordentlichen Planungsverfahrens
Ab diesem Punkt beginnt die aufwändige Planung und Umsetzung nach bundesweiten Standards. Für die Begatalbahn-Reaktivierung wäre dies der nächste anstehende Schritt. Der Ablauf eines Infrastrukturprojekts wird in der Regel in neun Leistungsphasen aufgeteilt. Dabei kommt es nicht darauf an, ob es sich um eine Streckenreaktivierung, den Ausbau eines Bahnhofs, oder eine neue Autobahn handelt. Die Rollenverteilung ist jedoch komplexer als in der bisher erfolgten Planung. Denn seiner gesetzlichen Aufgabe folgend, ist der NWL „lediglich“ Aufgabenträger, ist also verantwortlich für die bestmögliche Organisation und Finanzierung des SPNV. Eigentümer und Betreiber der Infrastruktur sind aber die Projektpartner des NWL – neben DB Netz als bekanntestem Player sind dies im westfälischen Raum weitere Unternehmen wie die Verkehrsbetriebe Extertal oder die Westfälische Landes-Eisenbahn. Ihnen sichert der NWL die Finanzierung des geplanten Verkehrs im zuvor festgelegten Rahmen zu. Im Gegenzug übernehmen die Partner Verantwortung für sachgemäße und zeitkonforme Planung und Umsetzung des Projekts. Dies wird in der Regel durch Fördermittel aus öffentlicher Hand bezahlt. Die Fäden laufen aber weiterhin beim NWL als Projektsteuerer zusammen.
Leistungsphasen eins und zwei bauen auf der zuvor erstellten Machbarkeitsstudie des NWL auf. Verantwortlich für die Erfüllung der damit verbundenen Anforderungen sind ab hier jedoch primär die Projektpartner. Zum einen müssen sie Zeitpläne und Bauvorhaben verbindlich definieren und die Kostenschätzung präzisieren. Nur so ist gewährleistet, dass ein Projekt auch entsprechend der definierten Rahmenbedingungen umgesetzt werden kann. Zum anderen prüfen sie rechtliche Vorgaben und Bedingungen, sowie notwendige Genehmigungen. Aus diesen Informationen ergibt sich auch eine genauere Zeitplanung.
Nach Abschluss von Leistungsphase zwei fordert das Land NRW eine vollständige standardisierte Bewertung. Deren Ergebnis entscheidet, ob das Projekt für eine Förderung durch Landes- und Bundesmittel geeignet ist. Die Standardisierte Bewertung wird dafür um die Erkenntnisse der ersten beiden Leistungsphasen aktualisiert. Nun wird erneut berechnet, ob sich das Projekt lohnt.
Apropos Geld: Theoretisch ließen sich zwar auch unwirtschaftliche Projekte umsetzen, diese würden aber nicht von öffentlicher Seite gefördert werden, da volkswirtschaftlich unrentabel. Ist das Ergebnis der standardisierten Bewertung jedoch positiv, erfüllt das Projekt die Bedingungen des Landes und kann nach Durchlaufen der beteiligten Entscheidungsebenen in den ÖPNV-Bedarfsplan NRW aufgenommen werden. Ist dies der Fall, wird das Vorhaben somit von nun an offiziell unterstützt und der Weg für die nächsten Leistungsphasen hin zur Umsetzung ist geebnet.
Entwurfs- und Genehmigungsplanung
In Leistungsphase drei steht die Entwurfsplanung an. Hier erstellen die Projektpartner detaillierte technische Pläne für die Umsetzung des Projekts und führen eine Umweltverträglichkeitsprüfung durch. Dafür werden in der Regel, wie bei vorgelagerten Prozessschritten auch, externe Planungs- bzw. Ingenieurbüros zur unabhängigen Bewertung beauftragt. Zudem wird in diesem Schritt auch die Gesamtfinanzierung geplant. Hier geht es um Details wie die Kosten für Infrastruktur, Fahrzeuge und den späteren Betrieb. Den Großteil der Finanzierung decken meist öffentliche Fördermittel ab, später spielen auch Einnahmen aus dem laufenden Betrieb eine Rolle. Innerhalb seiner Projekte hat der NWL die Hoheit über die Verteilung von vorhandenen und zugesicherten Geldern.
Sobald die detaillierte Planung vorliegt können die notwendigen Genehmigungen beantragt werden. Die Genehmigungsanträge für einzelne Maßnahmen werden dabei vom jeweils zuständigen Projektpartner erstellt: Bei Reaktivierungsprojekten sind dies in der Regel die Infrastrukturbetreiber. Im sogenannten Planfeststellungsverfahren prüft die zuständige Behörde das Projekt auf Herz und Nieren.
Auch Bürgerinnen und Bürger sind mitentscheidender Teil des Planfeststellungsverfahrens: Für einen Monat werden die Planungsunterlagen öffentlich ausgelegt. In diesem Zeitraum können die Bürgerinnen und Bürger Fragen stellen, Bedenken äußern und Einwände vorbringen. Diese müssen anschließend geprüft, bewertet und beantwortet werden, schriftlich sowie in Form öffentlicher und privater Erörterungen. Auf diesem Wege wird sichergestellt, dass der NWL und seine Projektpartner ihrer gesetzlich vorgegebenen Verantwortung gegenüber der Öffentlichkeit in vollem und nachvollziehbaren Umfang gerecht werden.
Am Ende sind die Behörden am Zug: Sie fällen den Planfeststellungsbeschluss, aufbauend auf den Genehmigungsunterlagen und Ergebnissen der Bürgerbeteiligung. Fällt der Beschluss positiv aus, besteht Baurecht. Erst damit ist die Umsetzung des Projekts besiegelt.
Letzte Schritte: Bauliche Umsetzung und Inbetriebnahme
Liegt ein positiver Planfeststellungsbeschluss vor geht es an die Umsetzung. Baupläne werden erstellt, Aufträge vorbereitet und vergeben. Anschließend steht dem Bau nichts mehr im Wege, dann heißt es endlich: Ärmel hochkrempeln! In diesen finalen Leistungsphasen, in denen nun Baufortschritte „sichtbar“ werden, sind vor allem die Projektpartner des NWL in der Pflicht: Nachdem die Planung steht setzen sie diese Schritt für Schritt um. Der NWL ist auch dabei Koordinator, hält weiterhin die Fäden zusammen und bringt bei Gesprächs- oder Nachsteuerungsbedarf die Projektbeteiligten an einen Tisch. Er informiert Beteiligte und Öffentlichkeit auch über die weiteren Projektfortschritte.
Mit dem Abschluss der Bauarbeiten und sobald die Fahrzeuge bereitstehen, folgt als letzter Schritt die Inbetriebnahme. Der NWL beauftragt und finanziert von nun an den Verkehr auf der Schiene. Nach vertraglich definierten Vorgaben umgesetzt wird er von den Infrastruktur- und Betreiberunternehmen. Auch nach Fertigstellung eines Infrastrukturprojekts bleibt der SPNV also Teamarbeit – im Sinne des Fahrgastes!
Stabsstelle Presse | Kommunikation
Nahverkehr Westfalen-Lippe
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