Themendienst: Integraler Taktfahrplan
Integraler Taktfahrplan: „Verlässlichkeit hat oberste Priorität“
Kai Schulte leitet das Kompetenzcenter Integraler Taktfahrplan NRW (KC ITF). Die zentrale Aufgabe: den NRW-Takt im Schienenpersonennahverkehr weiterentwickeln. Worauf es dabei ankommt, was der Integrale Taktfahrplan mit dem Deutschlandtakt zu tun hat und was sich Schulte für die Zukunft wünscht, erfahren Sie hier.
Herr Schulte, was genau ist der Integrale Taktfahrplan?
Schulte: Der Integrale Taktfahrplan (ITF) hat vor allem die Reisenden im Blick. Er sorgt dafür, dass sich Züge regelmäßig zu immer gleichen Zeiten in sogenannten Knotenbahnhöfen treffen und Fahrgäste bequem umsteigen können. Ein gutes Beispiel ist Münster. Dort kommen Züge aus vielen Richtungen kurz vor der vollen Stunde an. Die Fahrgäste steigen möglichst ohne Eile um und kurz nach der vollen Stunde fahren alle Züge wieder ab. So entsteht ein Netz mit kurzen Übergangszeiten und zuverlässigen Verbindungen. Genau das ist das Kernziel: Die Fahrgäste sollen sich darauf verlassen können, dass ihr Zug wie jeden Tag um kurz vor 9:00 Uhr in Münster ankommt und der Anschlusszug um kurz nach 9:00 Uhr wieder abfährt. Der ITF gilt nicht nur für einzelne Linien, sondern für das gesamte Netz inklusive dem Fernverkehr. Und er endet nicht am Gleis: Auch Stadtbahnen und Busse werden an wichtigen Knotenpunkten oder gut besuchten Haltestellen aufeinander abgestimmt.
Das klingt sinnvoll. Wo liegen die Herausforderungen?
Schulte: Ein perfekter ITF existiert bislang nur auf dem Papier. In der Praxis spielen viele Faktoren eine Rolle. Um den Taktfahrplan wirklich zu verbessern, reicht es nicht aus, einfach den Fahrplan zu ändern. Auch die Infrastruktur muss vorhanden sein: ausreichend Gleise und Weichen, Bahnhöfe mit entsprechend vielen Bahnsteigen, Sicherungs- und Leitsysteme sowie der Einsatz der passenden Fahrzeuge. Alles muss aufeinander abgestimmt sein.
Wie sieht Ihre Arbeit konkret aus?
Schulte: Wir arbeiten in NRW nach dem Prinzip der fahrplanbasierten Infrastrukturplanung. Das heißt: Erst entwickeln wir einen idealen Fahrplan. Dann prüfen wir, welche Infrastruktur dafür erforderlich ist. Wir denken dabei mutig und ambitioniert voraus. Welche Verbindungen brauchen wir? Wie sieht die ideale Strecke zwischen zwei Städten aus? Im nächsten Schritt schauen wir, ob die benötigte Infrastruktur vorhanden ist und welche Maßnahmen nötig und wirtschaftlich sind. Diese Herangehensweise ist relativ neu. Früher lief es meistens umgekehrt.
Wie wurden Fahrpläne früher entwickelt?
Schulte: Erst wurde die Infrastruktur gebaut, dann kamen die Züge auf die Schienen. Lange Wartezeiten an Bahnhöfen waren die Folge – auch deshalb hatten Bahnhöfe oft große Wartehallen. Heute wollen die Fahrgäste schnell ankommen, nicht warten. Wenn ich mein Fahrziel nicht direkt erreichen kann, möchte ich zügig umsteigen können. Es geht letztlich darum, kurze Reisezeiten zu schaffen. Verlässlichkeit hat dabei oberste Priorität.
Das KC ITF NRW entwickelt den NRW-Takt weiter. Was bedeutet das und wie fügt er sich in den Deutschlandtakt ein?
Schulte: Den NRW-Takt gibt es seit 1998; seitdem wurde er bereits mehrfach angepasst. Er bietet leicht merkbare Taktzeiten, vielerorts gute Anschlüsse und Direktverbindungen im ganzen Bundesland. Das gemeinsam entwickelte Zielkonzept für NRW zeigt auf, wo wir im SPNV hinwollen. Es ist Teil des Deutschlandtaktes, der perspektivisch bundesweit eingeführt werden soll. Der Deutschlandtakt ist im Grunde ein integraler Taktfahrplan für ganz Deutschland, der übrigens alle Verkehrssparten – also Nah-, Fern- und Güterverkehr – berücksichtigt.
Außerdem arbeiten wir in NRW mit vielen Partnern daran, Engpässe in der Infrastruktur zu beseitigen, damit der Betrieb wieder verlässlicher und stabiler für Reisende wird. Wir haben hier viele Zugfahrten bei einem gleichzeitig begrenzten und oftmals störungsanfälligen Schienennetz. Die Verbesserung der Infrastruktur ist also eine Aufgabe mit höchster Priorität.
Was passiert, wenn ein Zug Verspätung hat? Bricht der ITF dann zusammen?
Schulte: Im Idealfall nicht, denn wir planen von Anfang an sogenannte Pufferzeiten ein. Auf diese Weise können kleinere Verzögerungen aufgefangen werden. Bei wenigen Minuten wird der Umstieg zwar etwas sportlicher, aber immer noch machbar. Sind die eingebauten Verspätungsminuten überschritten, kann es natürlich vorkommen, dass der Anschluss verpasst wird, weil der Folgezug pünktlich losfahren soll. Aber bei einer guten Taktfrequenz dauert es dann nicht lange, bis der nächste Zug fährt.
Warum kommt es zu Verspätungen?
Schulte: Aktuell stößt die bestehende Infrastruktur vielerorts an ihre Grenzen. Die Auswirkungen von Verspätungen sind dadurch häufig größer und übertragen sich auf nachfolgende oder entgegenkommende Züge. Zudem genießt der Fernverkehr in der Regel Vorrang. Ist also ein ICE verspätet, müssen die Züge des Nahverkehrs Platz machen und verspäten sich dadurch womöglich.
Gibt es ein Netzwerk von ITF-Kompetenzzentren in Deutschland?
Schulte: Nein, in dieser Hinsicht ist NRW Vorreiter. Nordrhein-Westfalen ist ein großes Bundesland mit sehr heterogenen und komplexen Verkehrsstrukturen. Diese Einrichtung wurde geschaffen, um landesweite Ziele und Planungen mit regionalspezifischen Anforderungen zu verknüpfen. Nicht überall besteht der Bedarf für ein solches Kompetenzcenter. Dennoch haben wir bereits Anfragen aus anderen Bundesländern erhalten, die erkannt haben, dass NRW planerisch gut aufgestellt ist – insbesondere im Hinblick auf die Abstimmung mit dem Deutschlandtakt.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Schulte: Mehr Mut zur Priorisierung! Die Politik und die Verkehrsbranche müssen sich trauen, klare Entscheidungen zu treffen. Mit Blick auf Westfalen sind Projekte wie die S-Bahn Münsterland oder die S-Bahn OWL wichtig und zielführend. Da öffentliche Mittel knapp sind und das Geld nur einmal ausgegeben werden kann, sollten wir es in zukunftsfähige Verkehrsprojekte investieren, die schnell Wirkung zeigen – für eine bessere Lebensqualität. Der Bahnverkehr spielt dabei auch künftig eine zentrale Rolle.