Seit Jahren klagen die Verkehrsunternehmen über rote Zahlen, stellt der SPIEGEL in seiner aktuellen Ausgabe heraus. Energiekosten explodierten, Personal werde teurer, auch neue Elektro- oder Wasserstoffbusse kosten viel Geld, so das Magazin. Auch für das Deutschlandticket sei noch immer keine langfristige Finanzierung gefunden.
Einigen sich Bund und Länder nicht bald, müsse man wohl beim Angebot kürzen, warnt die Branche seit Langem. Immer deutlicher wird, wie katastrophal unterfinanziert der ÖPNV ist. Eigentlich soll der öffentliche Nahverkehr wachsen, er gilt als Lösung in der Klimakrise – stattdessen legt er den Rückwärtsgang ein.
Um zu verstehen, wie die aktuelle Misere entstehen konnte, lohne ein Blick auf die Situation der Eurobahn. Dort seien die laufenden Verkehrsverträge aus den Zehnerjahren von Anfang an nicht auskömmlich gewesen, sagt Joachim Künzel, der Geschäftsführer des Zweckverbands Nahverkehr Westfalen-Lippe (NWL) dem SPIEGEL. Der NWL vergibt Aufträge an Verkehrsunternehmen, die vor Ort den Zugverkehr betreiben. Diese konkurrieren um Aufträge, Aufgabenträger müssen das günstigste seriöse Angebot annehmen.
Diese Regelung soll eigentlich die öffentlichen Kassen schonen – im Fall der Eurobahn trug sie zur jetzigen Unterfinanzierung bei. „Wir hatten damals bereits die Befürchtung, dass das für die Eurobahn wirtschaftlich eine große Herausforderung wird – aber das Angebot war auch nicht so günstig, als dass wir es hätten ablehnen können“, so Künzel. „Aus rechtlichen Gründen mussten wir den Zuschlag geben. Andererseits haben wir natürlich auch jahrelang von diesen niedrigen Marktpreisen profitiert.“
Die vergangenen Jahre verschlimmerten die Situation. Die Kosten für Diesel stiegen, ebenso wie die Ausgaben für Strom – besonders das Krisenjahr 2022 riss ein Loch in die Kasse. Auch Personal wird teurer: „In den Tarifabschlüssen mit den Gewerkschaften geht es heute nicht nur um mehr Geld, sondern auch um weniger Arbeitszeit. Das heißt, für die gleiche Menge an geleisteter Arbeit brauchen die Betriebe mehr Personal“, erklärt Künzel.
Vielleicht wäre all das nicht so tragisch, wenn auch die Einnahmen entsprechend steigen würden. Doch davon könne keine Rede sein, so der SPIEGEL. Einnahmen stammen im öffentlichen Verkehr grundsätzlich aus zwei Quellen: staatliche Mittel und Fahrgelderlöse. Aus der Quelle der Fahrgelderlöse fließt seit Einführung des Deutschlandtickets allerdings weniger Geld – beim NWL etwa ein Viertel weniger, rund 50 Millionen Euro im Jahr. Findet die Politik nicht bald eine langfristige Finanzierung, befürchten die Verkehrsbetriebe, auf den Kosten sitzenzubleiben.
„Der Staat gibt mehrere Milliarden Euro jedes Jahr zusätzlich aus – nicht, um mehr Angebot zu finanzieren, sondern für Tickets, für die es bisher ja eine Zahlungsbereitschaft von den Kunden gab“, sagt Künzel. „Nun sagt der Bund: Jetzt muss es auch mal reichen, ihr bekommt doch schon mehr. Es reicht aber nicht. Und das ist das Kernproblem.“
Hier wird die Debatte grundsätzlicher. Bis hierhin ginge es ja nur darum, überhaupt den Status quo zu erhalten – zu finanzieren, was bisher schon fährt. Dabei bräuchte der ÖPNV eigentlich eine Ausbauoffensive: Um mehr Menschen in die Bahn zu locken, dem Klima zuliebe, bräuchte es mehr Strecken, dichtere Takte, modernere Fahrzeuge. Nur wer zahlt dafür? Grundsätzlich gilt, dass die Länder den öffentlichen Nahverkehr organisieren und finanzieren. Dafür bekommen sie Geld vom Bund in Form von Regionalisierungsmitteln. Etwa 11,2 Milliarden Euro fließen davon im Jahr 2024.
Der Bund stockte diese Mittel schon während der Corona- und Ukraine-Krisen auf, zur Finanzierung des Deutschlandtickets ein weiteres Mal. Jetzt müssten die Länder auch mal sparen, sagte Verkehrsminister Volker Wissing vergangenes Jahr, er mahnte mehr „Kosteneffizienz“ im Nahverkehr an. Die Branche will das nicht gelten lassen. „Bei Klimaschutz, Verkehrswende, Generationengerechtigkeit ist der Bund in der Verantwortung“, so Künzel. „Wenn das keine leeren Schlagworte sein sollen, muss er sich einfach überlegen, wie viel Geld er in dieses System stecken will.“
Eine Möglichkeit wäre es, noch mehr zahlende Kunden vom Deutschlandticket zu überzeugen. Etwa 11 Millionen monatliche Abonnenten zählte die Branche im Mai, 15 Millionen will sie dauerhaft erreichen. Besonders über das ermäßigte Jobticket könnten noch mehr Abonnenten gewonnen werden. Doch das wollen viele Betriebe noch nicht einführen, solange das Ticket nicht langfristig gesichert ist.
Vielleicht sei das Deutschlandticket also gar nicht das Problem im Finanzierungsstreit, sondern vielmehr eine Lösung, so das Magazin abschließend.